Die Europapolitik ist seit der Gründung der Konferenz 1993 ein zentrales Geschäft der KdK. Die Kantone sind sehr direkt von europapolitischen Entscheidungen des Bundesrates betroffen. Zahlreiche Dossiers betreffen ihre Zuständigkeiten.

Die Europäische Union (EU) ist direkte Nachbarin und wichtigste Handelspartnerin der Schweiz. 15 Kantone besitzen eine gemeinsame Grenze mit der EU und ihr Alltag ist geprägt vom Austausch mit den Nachbarregionen. Die grenzüberschreitende Mobilität von Arbeitskräften ist ein zentrales Element des Wachstums. Für die Kantone als wichtige Akteure im Energie- und Gesundheitsbereich, aber auch als Bildungs- und Forschungszentren sowie Standorte für innovative Unternehmen ist eine enge Zusammenarbeit mit der EU unverzichtbar.

Die Kantone erleben die Auswirkungen einer Erosion der Beziehungen mit der Europäischen Union sehr direkt. Für die Kantonsregierungen müssen diese Beziehungen deshalb auf einem soliden Fundament beruhen, das ein langfristiges und stabiles Verhältnis sichert. Dafür braucht es neue Verhandlungen. Die Kantone begleiten den Bundesrat bei diesen Arbeiten, tragen zur Festlegung der Verhandlungsziele bei und beteiligen sich an der Suche nach Lösungen.

Die Kantone spielen als Bindeglied zwischen Bund und Bevölkerung eine wichtige Rolle. Artikel 55 der Bundesverfassung sichert den Kantonen aussenpolitische Mitwirkungsrechte zu. Unter anderem werden sie in internationale Verhandlungen eingebunden. Seit 2012 widmet sich ein permanentes Leitorgan (Europadialog) dem Informationsaustausch mit dem Bundesrat. Es vereinigt die Vorsteherinnen und Vorsteher des Eidgenössischen Departementes für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und des Eidgenössischen Departementes für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) sowie eine von der Präsidentin oder vom Präsidenten der KdK angeführte Delegation der KdK.

Grösste Herausforderungen der neuen Verhandlungen

Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) beruhen auf einer Reihe von bilateralen Abkommen. Bevor neue Abkommen abgeschlossen oder die bestehenden aktualisiert werden können, sind so genannte institutionelle Fragen zu regeln (Rechtsübernahme, Streitbeilegung, Überwachung der Anwendung der Abkommen, staatliche Beihilfen). Der Bundesrat hat einen «Paketansatz» gewählt.

Die institutionellen Fragen betreffen fünf bestehende Marktzugangsabkommen (Personenfreizügigkeit, gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen, Landverkehr, Luftverkehr und Landwirtschaft) und werden beim Abschluss von zwei neuen Abkommen (Strom, Lebensmittelsicherheit) eine Rolle spielen. Ein neues Kooperationsabkommen ist im Gesundheitsbereich vorgesehen. Die Verhandlungen zielen auch auf eine volle Teilnahme der Schweiz an den europäischen Bildungs- und Forschungsprogrammen (Erasmus, Horizon) sowie eine dauerhafte Sicherung des Beitrags an die Kohäsion und Stabilität in Europa ab. Da das Dossier in vielen Punkten Zuständigkeiten der Kantone betrifft, müssen diese in die Entscheidungen einbezogen werden.

Am 15. Dezember 2023 hat der Bundesrat den zuständigen Kommissionen der eidgenössischen Räte sowie der KdK einen Entwurf für ein Verhandlungsmandat zur Konsultation unterbreitet. Die Kantonsregierungen haben am 2. Februar 2024 an einer ausserordentlichen Plenarversammlung eine gemeinsame Stellungnahme verabschiedet: Sie haben sich dabei auf ihre europapolitische Standortbestimmung vom 24. März 2023 gestützt.

Kantone als aktive und zuverlässige Partner

Die Kantonsregierungen beteiligen sich als institutionelle Partner des Bundes konstruktiv und aktiv an der Europapolitik und an der Suche nach Lösungen. Die Kantone werden deshalb in die Arbeiten des Bundes zur Vorbereitung der Verhandlungen einbezogen und können ihre Position einbringen.

Neben den politischen Diskussionen mit dem Bundesrat im Rahmen des Europadialogs findet auf technischer Ebene ein intensiver Austausch statt. Eine technische Arbeitsgruppe Bund/Kantone diskutierte die Eckpunkte einer möglichen Beihilfeüberwachung in der Schweiz. In weiteren solchen Arbeitsgruppen konnten sich die Kantone mit konkreten Informationen in Bereichen mit geteilter Zuständigkeit wie dem Arbeitsmarkt oder der Stromversorgung befassen.

Für ihre neue Standortbestimmung hat die KdK im Übrigen eine Studie über die Ausgestaltung des Schweizer Europadiskurses im Zeitraum von 2011 bis 2021 in Auftrag gegeben.

Regelmässige Standortbestimmungen

In einer Standortbestimmung ziehen die Kantonsregierungen regelmässig Bilanz über die Europapolitik. Die letzte Standortbestimmung wurde an der Plenarversammlung am 24. März 2023 verabschiedet. Sie knüpft an den Positionsbezug der Kantonsregierungen vom 29. März 2019 an.

Die vorhergehende Standortbestimmung der KdK datiert vom 25. Juni 2010. Die Kantonsregierungen hatten sich damals für die Fortführung des bilateralen Weges ausgesprochen, gleichzeitig aber die Realisierung innerstaatlicher Reformen und insbesondere die Festigung des Mitwirkungsföderalismus gefordert. Die beiden ersten Standortbestimmungen wurden 2007 und 2004 erstellt.

Innerstaatliche Reformen

Bereits in ihren Standortbestimmungen vom 25. Juni 2010 und 24. Juni 2011 hielten die Kantonsregierungen fest, dass eine Zustimmung zu einer weiteren Vertiefung der Beziehungen zur EU bedingt, dass gleichzeitig eine Reihe von innerstaatlichen Reformen realisiert wird. An der Plenarversammlung vom 13. Dezember 2013 konkretisierten die Kantone ihre diesbezüglichen Vorstellungen. Gefordert wurde in erster Linie eine Anpassung des bestehenden Bundesgesetzes über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes (BGMK). Die vorgeschlagenen Massnahmen betreffen:

  • Stärkung der Informationsrechte: Die Kantone haben Anspruch auf umfassende Informationen, insbesondere auf jene, die ihre wesentlichen Interessen betreffen. Die Information hat umgehend zu erfolgen.
  • Stärkung der Mitwirkungsrechte: Die Kantone sollen bei der Vorbereitung von Verhandlungsmandaten und im Vorfeld strategischer Entscheidungen einbezogen werden, wenn ihre wesentlichen Interessen betroffen sind. Sofern die Zuständigkeiten der Kantone tangiert sind, ist die Gewichtung der kantonalen Stellungnahmen zu verbessern, wenn es sich um europapolitische Vorhaben handelt. Bezüglich der Frist zur Stellungnahme soll eine Regelfrist von drei Monaten gelten, die nur bei Dringlichkeit und mit schriftlicher Begründung unterschritten werden darf. Schliesslich sollen Mitwirkungsrechte auch gegenüber dem Parlament gestärkt werden. Den Kantonen sollte das Recht eingeräumt werden, in Fällen, in denen ihre Interessen berührt sind oder sein können, ihre Anliegen schriftlich oder direkt in einer Kommissionssitzung anzubringen.
  • Stärkung der Organisationsstrukturen der Mitwirkung: Zur Förderung der gegenseitigen Information, des Austauschs und der Meinungsbildung soll ein regelmässig tagendes Koordinationsgremium zwischen Bundesrat und Kantonsregierungen geschaffen werden.

Diese Vorschläge behalten ihre Gültigkeit.

Zusammenarbeit Kantone-EU: das Beispiel EUSALP 2023

Die Kantone wirken aktiv an der Aussen- und Europapolitik des Bundes mit. Die engen Beziehungen zu den Nachbarländern und Grenzregionen bieten einen privilegierten Raum für die Zusammenarbeit. So übernahm die Schweiz 2023 als erstes Nicht-EU-Land den Vorsitz der Makroregionalen Strategie der Europäischen Union für den Alpenraum (EUSALP).

Die Kantone, die diese Aufgabe gemeinsam mit dem Bund wahrnahmen, konnten damit ein Zeichen setzen für die Bedeutung grenzüberschreitender Beziehungen in Europa und die Zusammenarbeit im Alpenraum. In den verschiedenen Sprachregionen wurden Konferenzen durchgeführt. Am 31. März fand in Freiburg die Auftaktkonferenz «Kreislaufwirtschaft» statt. An der zweiten Konferenz am 16.Juni in Scuol (GR) stand das Thema Wasserversorgung im Fokus. Mit dieser Frage befasste sich am 8. September in Lausanne auch eine Delegation des Jugendrates der EUSALP.

Am 1. September fand in Lugano (TI) eine Konferenz über die nachhaltige Mobilität statt. Anlässlich des Jahresforums und der Generalversammlung der EUSALP am 19. Oktober in Bad Ragaz (SG) zogen die Gastkantone der verschiedenen Konferenzen Bilanz. Mit der Verabschiedung einer gemeinsamen Deklaration wurde der Grundstein für die Überarbeitung des Aktionsplans und der Strategie der EUSALP gelegt und die Stärkung der Governance verankert.

Die EUSALP hat zum Ziel, die Zusammenarbeit zu stärken und gemeinsame Ziele zu definieren. Die Schweiz beteiligte sich von Beginn weg an der Strategie. Sechs weitere Länder (Deutschland, Frankreich, Italien, Liechtenstein, Österreich und Slowenien) sowie 48 Regionen, darunter alle Kantone, arbeiten im Rahmen der EUSALP zusammen.

Bilaterale Abkommen

Die Schweiz und die Europäische Union haben eine Reihe von bilateralen Abkommen abgeschlossen, von denen einige die Zuständigkeiten der Kantone berühren. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten präsentiert die bilateralen Abkommen im Detail. Nachdem die Schweizer Stimmbevölkerung 1992 den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum abgelehnt hatte, wurden zwei «Pakete» von bilateralen Abkommen abgeschlossen.

Die bilateralen Abkommen I, in deren Ausarbeitung die Kantone eingebunden waren, traten am 1. Juni 2002 in Kraft. Sie umfassen die folgenden sieben Abkommen: Personenfreizügigkeit, technische Handelshemmnisse, öffentliches Beschaffungswesen, Landwirtschaft, Landverkehr, Luftverkehr und Forschung. Diese Abkommen sind aufgrund der so genannten «Guillotine-Klausel» miteinander verknüpft. Wird eines der Abkommen durch einen Vertragspartner gekündigt, treten die anderen Abkommen automatisch ausser Kraft.

Das zweite Paket umfasst neun Abkommen: Schengen/Dublin, automatischer Informationsaustausch (ehemaliges Zinsbesteuerungsabkommen), Betrugsbekämpfung, landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte, Umwelt, Statistik, MEDIA, Ruhegehälter und Bildung, Berufsbildung, Jugend. Die bilateralen Abkommen II sind nicht mit einer «Guillotine-Klausel» verknüpft. Dennoch verfolgte die Schweiz in den Verhandlungen, die im Juni 2002 aufgenommen wurden und im Mai 2004 abgeschlossen werden konnten, das Prinzip des Parallelismus, um ein ausgewogenes Gesamtergebnis zur erzielen.

Zwei der Abkommen, welche die Kompetenzen der Kantone tangieren, verzeichneten wichtige Entwicklungen: das Personenfreizügigkeitsabkommen und Schengen/Dublin.

Personenfreizügigkeit

Durch das Abkommen über den freien Personenverkehr (Freizügigkeitsabkommen) erhalten Staatsangehörige der Schweiz bzw. der Mitgliedstaaten der Europäischen Union das Recht, den Arbeitsplatz und den Aufenthaltsort innerhalb der Vertragsstaaten frei zu wählen. Die gegenseitige Öffnung erfolgte schrittweise und wurde bei jeder EU-Erweiterung kontrolliert ausgedehnt. Während bestimmter Übergangsfristen konnte die Schweiz die Zuwanderung einschränken.

Voraussetzung für die Personenfreizügigkeit ist, dass die Personen einen gültigen Arbeitsvertrag besitzen, selbstständig erwerbend sind oder über ausreichende finanzielle Mittel und eine Krankenversicherung verfügen. Flankierende Massnahmen schützen die Arbeitnehmenden vor Lohn- und Sozialdumping. Den Kantonen kommt bei der Umsetzung und Kontrolle dieser Massnahmen eine wichtige Rolle zu.

Die Kantone haben das Personenfreizügigkeitsabkommen wiederholt verteidigt, als es durch Volksinitiativen wie die «Masseneinwanderungsinitiative» 2014 und die Initiative «Für eine massvolle Zuwanderung» 2020 in Frage gestellt wurde. Das duale Zulassungssystem, das einerseits die Personenfreizügigkeit mit EU/EFTA-Staatsangehörigen vorsieht und andererseits die Zuwanderung hochqualifizierter und von der Wirtschaft nachgefragter Arbeitskräfte aus Drittstaaten zulässt, hat sich bewährt. Es sichert und fördert den Wohlstand in der Schweiz. Fiele das Freizügigkeitsabkommen weg, würde wieder ein Kontingentsystem eingeführt werden, das für die Kantone einen grossen administrativen und auch finanziellen Mehraufwand nach sich ziehen würde.

Schengen/Dublin

Das Assoziierungsabkommen von Schengen und Dublin regelt die Teilnahme der Schweiz an der europäischen Sicherheits- und Asylzusammenarbeit. Mit Schengen profitiert die Schweiz von der Aufhebung der Personenkontrollen an den Grenzen zwischen den Vertragsstaaten. Die Schweiz und die Kantone profitieren zudem von den Massnahmen, welche die Sicherheitslücken der wegfallenden Grenzkontrollen kompensieren: Verstärkte Überwachung an den Schengen-Aussengrenzen, vertiefte Zusammenarbeit der Polizei- (u.a. Schengener Informationssystem (SIS)) und Justizbehörden sowie beim Datenschutz. Aufgrund der ständigen Weiterentwicklung der europäischen Regelungen muss auch die Schweiz ihre Gesetzgebung laufend anpassen.

Wichtige Weiterentwicklungen sind insbesondere im Bereich der Inneren Sicherheit zu verzeichnen. So etwa die Einführung eines Europäischen Reiseinformations- und genehmigungssystems (ETIAS), wonach Reisende aus nicht EU/EFTA-Staaten, die kein Visum für den Schengen-Raum benötigen, künftig vorab Reisegenehmigungen beantragen müssen, die automatisch mit verschiedenen Fahndungs- und Migrationsdatenbanken (u.a. Schengener Informationssysteme) abgeglichen werden. Die Stärkung der Inneren Sicherheit verfolgt auch die Modernisierung des Schengener Informationssystems (SIS II; gezieltere Fahndung nach Terrorverdächtigen; Schutz gefährdeter Minderjähriger und Erwachsener) sowie die automatisierte Vernetzung der verschiedenen Informationssysteme in den Bereichen Grenze, Migration und Polizei (Interoperabilität IOP, SIS, VIS, Eurodac, EES und ETIAS). Mit der Gründung der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) werden zudem die Bereiche der Aussengrenzkontrolle, der Rückkehr und der Zusammenarbeit mit Drittstaaten gestärkt. Frontex wird dazu neu mit dem Betrieb des Europäischen Bildspeicherungssystems «False and authentic Documents Online» (FADO; Gefälschte und echte Dokumente online) betraut, die den schnellen elektronischen Austausch und die Validierung echter und gefälschter Dokumente erleichtert. Am 25. März 2022 haben sich die Kantonsregierungen für die Stärkung von Frontex ausgesprochen.

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